09.08.2022
Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern. Lk 12,48b

Gedanken von Christof Enders

Er hätte alles mit uns machen können! Der gesamte Chor hing an der Spitze seines Dirigentenstabes. Anfangs. Alle warteten auf Zeichen für ein kräftiges Forte oder ein sanftes Pianissimo. Aber es kam nicht. Lediglich der Takt war ihm abzunehmen. Das Orchester war professionell genug und spielte gut, aber der Chor blieb zurückgelassen in der Mittelmäßigkeit. Es war schon verständlich. Der junge Kantor dirigierte zum ersten Mal das Weihnachtsoratorium. Aber wir wussten ja auch: er kann es! Das war von vorneherein klar. Am Ende war ich sogar etwas ärgerlich. Ich hatte das Gefühl, er enthält uns – bewusst oder unbewusst – etwas von seiner musikalischen Energie und Begabung vor.

Es ist, wie wenn man mit angezogener Handbremse fährt. Irgendetwas hindert mich, an mein volles Potential heranzukommen. Dieses Gefühl gehört zu vielen Biografien. Ratschläge von außen sind da völlig kontraproduktiv. So gesehen ist der Wochenspruch aus dem Lukasevangelium mit Vorsicht zu genießen. Wem steht ein Fordern zu? Ich denke an die vielen Mitarbeitenden in unserer Kirche, die an zu hohen (meist eigenen) Ansprüchen scheitern. Ich denke an die Kinder, die den christlich-moralischen oder geistlichen Vorstellungen ihrer Eltern nicht genügen und daran zerbrechen. Ich denke an den Konkurrenzdruck – auch in der Kirche –, das immerwährende sich Vergleichen: bin ich, ist meine Gemeinde besser, fitter, aktiver als die Anderen?

Es geht nicht um Leistung. Es geht um die angezogene Handbremse! Was hindert mich, an mein Potential zu kommen? Der Schöpfer hat es ja bereits in mich hineingelegt! Welche Mauern gibt es in meinem Inneren und wie versucht Gottes Geist, mir beim Sprung darüber zu helfen? – Fremden Forderungen will ich trotzen, auf Gottes Beistand auf meinen Weg zu mir selbst aber niemals verzichten.