30.04.2020
"Übrigens ..."
Wie lange noch?
Ich sehne mich danach, dass die Schulen und Kitas wieder offen haben und meine Kinder nicht den ganzen Tag zu Hause herumhängen, ich bei den Hausaufgaben helfen und gleichzeitig Mittag kochen muss. Ich sehne mich danach meine Freundin zu umarmen, ins Kino zu gehen oder abends mit Freunden auf ein Bier in die Kneipe. Wie lange noch? Es gibt Tage, da kann ich es kaum mehr aushalten und mir fällt die Decke auf den Kopf. Dann meldet sich eine kleine Stimme in mir, die mich erinnert. Jesus sagt: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Die geringsten Brüder - und ich ergänze Schwestern – wer ist das heute? Für mich sind es aktuell die, für die Covid-19 lebensbedrohlich ist. Für sie halte ich dieses „wie lange noch?“ aus. Es geht nicht um mich. Auch nicht um die, die Covid-19 einfach so wegstecken. Es geht um die 23-Jährige, die auf der Intensivstation kämpft, es geht um den Familienvater, der seit Wochen im Koma liegt. Das sind die Geringsten. Die ohne den Schutz aller einfach keine Chance haben. Und solange wir nicht wissen, warum das so ist, dass die einen lebensbedrohlich erkranken und die anderen nicht mal Fieber haben, solange die Ärzte nicht wissen, wie eben die Schwächsten geschützt werden können, solange will ich es aushalten. Das Homeschooling, den geschlossenen Spielplatz, die fehlende Umarmung. Ich will mich so verhalten, als wäre mein bester Freund einer dieser Schwächsten, auch wenn es mir schwerfällt.
Ulrike Garve, Pfarrerin in Lübbenau