18.01.2022
mindset 2022
... Denkst Du wie Goldmarie?
Ein Beitrag von Andreas Bechler, Pfarrer in Falkenberg
Am Anfang dieses Jahres stehe ich unter unserem alten Apfelbaum im Pfarrgarten und denke nach: über mich, Gott und die Welt. „Der Mensch denkt - Gott lenkt“, so ähnlich schreibt es der weise König Salomo in der Bibel vor ca. 3000 Jahren (Sprüche 16, 9). Luther spricht vor ca. 500 Jahren vom nahen Untergang der Welt und pflanzt trotzdem ein Apfelbäumchen. Der Baum unter dem ich stehe, ist noch nicht so alt. Ein mutiger Vorgänger hat ihn vor ca. 80 Jahren gepflanzt. Ich erinnere mich an das alte Märchen von den Gebrüdern Grimm: „Goldmarie“. Ja, schön wäre es. Ich stelle mir einfach etwas vor, was ich will und es fällt vom Himmel: Super! Aber so funktioniert es nicht für mich und auch nicht für alle Anderen.
Schon der Weg der Goldmarie im Märchen der Gebrüder Grimm war anders. Erst einmal hatte sie sich die Finger blutig gesponnen. Als Marie die Spindel abwaschen will, fällt sie in den Brunnen. Aus Angst vor der Stiefmutter springt sie planlos hinterher und landete - welch Wunder - auf einer Blumenwiese. Ohne zu wissen: Wohin?, geht sie weiter. „Da ein Backofen!“ Das Brot schreit: „Zieh mich raus, sonst verbrenne ich!“ Marie macht es. „Schüttle mich, rüttle mich!“, ruft ein Apfelbaum: „Sonst brech ich zusammen!“ Marie macht es. Zuletzt bittet eine alte Frau um Hilfe. Betten aufschütteln ist für Marie kein Problem. Doch die Sehnsucht nach Nähe und Familie, nach ihren Freunden und Nachbarn im Dorf, nach vertrauten Kontakten treibt sie um. Sie wird nach Hause zurück geschickt, belohnt mit einem himmlischen Goldregen.
Ihrer Schwester, auch Marie, ergeht es ganz anders. Als sie von dem Gold hört. Will sie es auch. Sie springt in den Brunnen, landet auch glücklich auf der Wiese. Sie verfolgt zielstrebig ihren Plan, in dem kommen Brote und Äpfel nicht vor. Nur Gold! Da hat Maries Stiefschwester Pech gehabt, und es klebt an ihr.
Ich begreife: In meiner Zeit gibt es keine einfachen und schnellen Lösungen. Es braucht meine Ausdauer, Geduld und meinen Einsatz. Es braucht auch ein Ziel für das es sich lohnt, zu leben und zu handeln. Gemeinschaft, Familie und Heimat sind hohe Güter. Wenn ich wüsste, dass Morgen die Welt unterginge, würde ich heute über eine Wiese gehen, mich unter einen Apfelbaum stellen, ihn rütteln und schütteln, das Obst auflesen, auch mit dem kleinen Wurm. Ich würde Brot backen, und es teilen. Es mir mit anderen schmecken lassen. Menschen helfen, die meine Hilfe brauchen und die Gemeinschaft nicht vergessen, die mich hält und trägt, und natürlich in allem vertrauen, dass mein Gott über mir und dieser Welt den Himmel öffnet.